Die Unbeugsamen. Roman by Fred M. Stewart
Autor:Fred M. Stewart [Stewart, Fred M.]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105609095
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-12-21T16:00:00+00:00
«Trinken Sie dies.»
Als sie die Augen öffnete, sah sie die Augen der Marquise de Païva auf sich gerichtet. Scharlachroter Mund, wie ein Schlitz. Darunter, auf dem vorgereckten, geradezu massigen Kinn, eine große Warze, leichenblasse Haut, braune Augen, aus denen Klugheit sprach; rotes Haar, gefärbt; Brillanten und Perlen, die viele Tausende wert sein mußten.
Sie stand neben dem Bett, auf dem Elizabeth lag, und hielt in der Hand ein Glas Kognak. Elizabeth richtete sich langsam auf und erinnerte sich; der Revolver, der Schuß, der Schock. Ben. Sie nahm das Glas und trank.
«Fühlen Sie sich besser?» fragte La Païva, die französisch mit starkem Akzent sprach.
«Ja, danke. Wo ist mein Mann?»
«Zaza hat ihn nach Hause gebracht.»
«Zu mir … zu uns?» fragte sie schockiert.
La Païva lachte leise. «Kaum. Zu sich. In die Wohnung, die er ihr in der Rue des Acacias gemietet hat. Soll sehr chic sein, wie ich höre. Dieser nette Amerikaner – wie heißt er noch? Jeff? – sagte mir, daß Sie nichts von ihr wußten.»
«Nein. Das ist wohl töricht von mir.»
«Sehr töricht. Sie ist ein richtiges Luderchen, und Ihr Gatte ist versessen auf sie. Ich beneide Sie nicht.»
«Aber sie scheint doch noch ein Kind zu sein.»
«Ist sie aber nicht. Sie sieht nur so aus. Es gibt nun einmal Männer, die versessen sind auf solche kleine Mädchen. Ihr Gatte ist einer von ihnen, wußten Sie das nicht?»
«Nein …»
«Ihr Amerikaner müßt wirklich blind sein …»
War dies die Erklärung für so vieles, das ihr bislang völlig unerklärlich schien? Für seine Trinkerei? Und auch dafür, daß er sich ihr gegenüber im Bett überhaupt nicht mehr zärtlich zeigte? Andere Frauen, da hatte sie sich sicher gefühlt, schienen nicht im Spiel zu sein. Nie bekundete er da irgendwelches Interesse. Und da in Paris viel über Homosexualität getuschelt wurde, war sie schließlich auf die Idee gekommen, sein Interesse könne insgeheim Männern gelten. Jetzt auf einmal wußte sie die Wahrheit: nicht Männer, sondern junge Mädchen – heranreifende Mädchen, Kindfrauen. Guter Gott, wie grauenvoll blind war sie nur gewesen!
«Gefällt Ihnen mein Schlafzimmer?» fragte La Païva.
Sie ließ ihren Blick durch den Raum gleiten. Das Zimmer war nicht weniger überladen als der große Salon darunter. Die Fenster blickten hinaus auf die Champs-Élysées, und die Decke, ein pseudogotischer Alptraum aus Gold und Rot mit herabhängenden Tropfen aus Holz, sollte einem wohl das Gefühl vermitteln, in einer Art Kirche zu sein – und vielleicht war der Raum eben dies: ein Liebestempel. Elizabeth befand sich auf einem seidenbezogenen Etwas, das zweifellos ein Bett war, doch eines, wie sie es in dieser Absonderlichkeit noch nie gesehen hatte. Riesig, aus Mahagoni geschnitzt, stellte es eine Liebesbarke dar, die von einem Schwan gezogen wurde, und das Kopfbrett bestand aus einer geschnitzten nackten Meerjungfrau, welche mit der linken Hand die Zügel des Schwans hielt, während die rechte hochtauchte durch eine Woge, als wolle sie ihrem am Gestade harrenden Geliebten zuwinken. Möglich allerdings, daß sie – ein durchaus naheliegender Gedanke – hier so etwas wie eine Art interner Buchführung betrieb.
«Nun, es ist anders – dieses Schlafzimmer», sagte Elizabeth.
Die Marquise lachte. «Oh, das ist es.
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